Hauptsache Liebe

Auch in diesem Jahr waren Schülerinnen und Schüler am renommierten Literarischen Wettbewerb des Amtsgerichts Leipzig beteiligt.

Der wissenschaftlich begleitete Wettbewerb wird gefördert vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, der Leipziger Volkszeitung, BELANTIS, dem Zoo Leipzig, CineStar, JUMP House Leipzig sowie Alcedo Outdoor Equipment GmbH und unterstützt vom Landesamt für Schule und Bildung Leipzig.

Das diesjährige Thema lautete: Von "Pittiplatsch zu Patchwork – Mein Bild der Famile". Im Ausschreibungstext heißt es: "Über viele Generationen hat das Bild von Vater, Mutter und Kind(ern) bei uns auch die Vorstellung von ‚Familie‘ geprägt. Eltern können schon lange auch nicht leibliche neue – oder hoffentlich zusätzliche – ‚Bonus-Mamas‘ und ‚Bonus-Papas’ sein, aber seit einiger Zeit deutet sich an, den Kreis weiter zu ziehen: Es soll nun auch zwei Mütter (ohne erziehenden Vater) geben können oder zwei Väter (ohne erziehende Mutter). Manche meinen, die Erziehenden sollten ohnehin nicht mehr als Frau und Mann oder Mutter und Vater bezeichnet werden, sondern als ‚Elternteil 1‘ und ‚Elternteil 2‘. Was meint ihr zu ‚Regenbogen-Familien‘? Ist es euch wichtig, auch die (leibliche) Mutter oder den (leiblichen) Vater bei sich zu wissen? Oder kommt es nur auf das Gefühl an, als eine Familie verbunden zu sein?" Für das Poster des Wettbewerbes wurde übrigens zum wiederholten Male ein Bildmotiv ausgewählt, das in einem unserer Leistungskurse Kunst gestaltet wurde (in diesem Jahr eine Arbeit von Iman El-Gamla).

Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler unseres Gymnasiums haben auch in diesem Jahr wieder vordere Plätze belegt. Dem Thema haben sie sich unterschiedlich genähert und in vielfältiger Weise, sowohl mit Worten als auch bildnerisch, ihr Bild der Familie gezeichnet. Dabei zeigen die Texte, wie unterschiedlich Familien sein können. In einem sind sich die Werke jedoch einig: Eine Familie, das sind Menschen, die sich lieben. Oder wie Josephine Schulze (6a) es so treffend in ihrem Text schreibt: "Liebe ist alles, für alle." Folgende Preise konnten erlangt werden:

1. Platz: Josephine Schulze, Kl. 6a
2. Platz: Juna Einenkel, Kl. 6a
2. Platz: Xenia Zeh, Kl. 7a
3. Platz: Bjarne Löffler, Kl. 7a
3. Platz: Livia Müller, Kl. 7a
3. Platz: Jasmin E. Jähnert, Kl. 7a
Sonderpreis: Helene Bruns, Kl. 7a
Sonderpreis: Livana Schrezenmaier, Kl. 7b 

 

Josephine Schulze

Ein Bild der Familie aus der Sicht eines Hauses 

1923 wurde ich erbaut. Es war toll. Ich fühlte mich endlich zusammengehörend. Ich fand mich schön und die anderen in meiner Straße auch. Zwar war ich das jüngste Haus, aber mit meiner Prächtigkeit konnte keiner mithalten. Meine Nummer war auch die Beste. Ich war Nummer 12a. So schön ich auch war, lange Zeit wollte mich keiner haben ... 

1927 war es endlich soweit! Ein Mann mit Zylinder zog ein. Gleich am ersten Tag nagelte er ein Schild an den Briefkasten: Mr. Ledermann. Er war ziemlich lustig. Leider empfand nur ich das so, denn immer, wenn es passierte, schimpfte er rum und hielt sich den Kopf. Vielleicht war ich etwas schadenfreudig. Aber es sah zu lustig aus, wie er mit dem übergroßen Zylinder gegen alle Türrahmen knallte. Mr. Ledermann kam immer erst spät nach Hause. Er war tüchtig in seiner Arbeit, bis er eines Tages um die Mittagszeit wiederkam, ganz niedergeschlagen. Er murmelte die ganze Zeit vor sich hin irgendetwas von "gefeuert ...". Am nächsten Tag war er weg ... Lange Zeit war ich wieder alleinstehend. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, mich so weit zu beugen, dass ich umfiel, da hörte ich Motorengetöse. 

1939 bog ein quietschgelber Wagen um die Ecke. In ihm saßen viele Leute, Kleine und Große. Drei der sechs Kleinen sahen sich sehr ähnlich. 11b meinte, es seien Drillinge. Später stellte sich heraus, dass dies Familie Naunhöfer war. Mutter, Vater und ihre Kinder. Die Kinder, die Drillinge, zwei Mädchen und ein Säugling, stellten viel Unsinn an. Zum Beispiel, als der winzige Junge die Wand ankritzelte. Danach haben sie das Haus gestrichen. Das war lustig. Ich fühlte mich wie neugeboren. Anders als bei dem Ledermann, dessen Kommunikation sich darauf beschränkte, sich über den Hut zu ärgern, war Familie Naunhöfer sehr gesprächig. Es gab auch noch etwas anderes, das sie unterschied. Ich lernte erst spät, was es war. Denn, während Ledermann allein an seinem Tisch Trübsal blies, gab es bei den Naunhöfers etwas, das immer da war, egal wie sehr sie sich stritten. Es lag etwas in der Luft, das alle vereinte ... Liebe. Die sechs Kleinen wurden sehr schnell groß und als selbst der Kleinste von ihnen über 20 Steine groß war, wurde es heikel. Die Drillinge waren alle schon weg und selbst der Kleine sollte drei Nächte später abreisen. Da beschlossen Herr und Frau Naunhöfer, in so ein riesiges fettes Haus zu gehen, wo ganz viele Leute waren. Ich glaube, sie nennen die Mietwohnungen. Ich ahnte, was das hieß ... 

1959 kamen meine nächsten Mieter. Ein Mann mit seiner Frau. Sie hießen Carl und Nina Meier. Die 3c sagte, dass sie beheiratet sein oder so was. Ich lernte viel mit den beiden. Sie waren zwar nicht das komplette Gegenteil von den Naunhöfers, aber es gab wesentliche Punkte, in den sich die beiden Familien unterschieden. Diese Liebe hatten sie zwar auch, aber es war ganz anders als bei der achtköpfigen Familie. Ich kam zu dem Entschluss, dass ich das Wort noch nicht definieren wollte, sondern erst wenn ich die Liebe verstanden hatte. Auch die Zwei wollten nicht ewig unter meinem Dach leben. Und so kam es, dass sie mit dem Wunsch, irgendwann mal eine Tochter namens Mara zu haben, auszogen. 

Erst 1987 zog ein altes Ehepaar ein. Dieses war aber leider schneller weg, als es gekommen war. So wusste ich am Ende nicht einmal ihre Vornamen ... 

1996 konnte ich es nicht fassen, als das tausendundeinste Auto an mir vorbeifuhr, ohne dass sie mich ansahen! Ich hatte schon Angst, dass mich keiner wollte und ich zu altmodisch war, denn 15 und 13 hatten bereits eine Renovierung hinter sich. 

2001 war ich um so glücklicher, als eine Frauenstimme ertönte und verkündete, dass sie bei der 12a angekommen sind. Wie sich herausstellte war dies Frau Lichtenheim, die mit ihrem 16 Stein hohen Sohn angeradelt kam. Erst war ich verwundert, dass man nur mit dem bisschen Gepäck, was auf einem Gepäckträger ist, einziehen konnte. Doch meine Unwissenheit wurde schnell von dem kleinen Johannes aufgeklärt, der auf seinem roten Fahrrad mit der grünen Klingel fragte: "Wo bleibt denn Mami mit unserem Gepäck?" Darauf antwortete Frau Lichtenheim, die anscheinend ebenso seine Mama war wie die mysteriöse Mami, die das Gepäck brachte, dass sie jeden Augenblick da sein müsse. Nicht viel später kam mit quietschenden Reifen ein Zweisitzer um die Ecke gesaust. Eine Frau stieg aus. Sie ging auf die beiden Fahrradfahrer zu und küsste Frau Lichtenheim. Johannes schaute angewidert weg. "Das mit dem Auto war eine gute Idee, Lara" sagte sie mit einem Unterton, bei dem ich mir denken konnte, wer diese hatte. Aber langsam fing ich an, es wirklich durch das ganze Gespräch zu blicken. Familie Lichtenheim: Johannes Lichtenheim, Lara Lichtenheim und Ida Lichtenheim zogen in ein neues Haus ein. Das Haus war superschön, supergroß, supernett und superstark. Doch ich schweife ab. Da sie den Platz im Auto für das Gepäck brauchten und die alte Wohnung nicht so weit von dem neuen supercoolen Haus entfernt war, entschieden sie sich dazu, dass Zwei von ihnen mit dem Fahrrad zum neuen, echt tollen Haus fuhren, während das ganze Gepäck zusammen mit der autofahrenden Person hingefahren wurde. Das war so verwirrend, dass das nicht mal das cleverste Haus der Straße verstanden hatte. Obwohl gemunkelt wird, dass es einen Dachschaden hat. Eine Woche später hatten sich die Lichtenheimer gut eingelebt. Zwar standen noch überall Kartons rum, doch es war ein behagliches Heim. Auch bei dieser Familie konnte man die Liebe spüren. Aus unerfindlichen Gründen gab es einen unvergesslichen Streit mit Idas Vater. Er fand es nicht gut, dass Ida und Lara geheiratet haben. Das konnte ich nicht verstehen, schließlich liebten sich die beiden. Vielleicht sogar noch mehr als Nina und Carl Meier. 
Ich wurde langsam alt. Ich merkte das an vielen Sachen. Mein Putz wurde alt und fing an sich zu lösen, der Keller roch mehr nach Dachboden als nach Keller und über den Dachboden wollen wir gar nicht erst reden. Alte Häuserkram eben. Ich wusste, dass meine Zeit bald kommt. Doch bevor es so weit war, wollte ich noch eine Sache klären. 
Ich glaube es war um 1960 rum, da war ich noch ein junges Haus. Ich habe mir eine Frage gestellt: Was ist Liebe? 

2023 war mein hundertster Jahrestag. Ich wusste, wie ich den feiern würde. Ich hatte 100 Jahre Familie erlebt, studiert, gesehen und gefühlt, also klärte ich meine letzte Frage.

Liebe ist nicht nur ein Gefühl. Auch kein Zustand. Liebe sind keine Menschen, aber auch kein Grundbedürfnis. Liebe ist alles, für alle. Man kann sie nicht steuern und auch nicht unterdrücken. Dort wo die Liebe hinfällt, dort ist sie, und genauso ist es auch gut. 


 

 

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